Der letzte Arbeitstag, der letzte Weg zum Schreibtisch, die letzten Gespräche im Kollegenkreis – all dies ist eines Tages unausweichlich. Am 31. März 2022 wird Frank Ehrhardt die Geschäftsführung des Arbeitskreises Andere Geschichte, die er seit 1993 innehatte, abgeben. Damit endet nach 22 Jahren auch seine Arbeit als Leiter der Gedenkstätte Schillstraße.
Am 8. Mai 1985 wurde der Arbeitskreis Andere Geschichte Braunschweig gegründet. Die Idee einer anderen Geschichte, die aufgreift, was andere übersehen oder lieber beschweigen wollen, hielt Ehrhardt über all die Jahre lebendig. Mehr als drei Jahrzehnten widmete er sich der Stadt- und Regionalgeschichte. Fast alle von einst mehreren hundert Geschichtswerkstätten sind derweil Vergangenheit, die Geschichtswerkstatt Braunschweig ist immer noch aktiv. „Ohne einen Geschäftsführer mit großen organisatorischen Fähigkeiten und Identifikation mit der Aufgabe wäre dies nicht möglich gewesen“, so die Vorsitzende des Arbeitskreises, Gabriele Heinen-Kljajić. Frank Ehrhardt hat sich unermüdlich „seinen“Themen gewidmet, der Braunschweiger Arbeiterschaft, der Industriegeschichte, dem jüdischen Leben und einigem mehr. Seine Arbeiten fußten stets auf umfangreichen Recherchen mit Zeitzeugen-Gesprächen und Archivstudien. Er scheute keine unbequemen Themen, wie unlängst die Enteignung jüdischer Kaufleute inmitten der Stadt.
Wer sich in Braunschweig daher über den Nationalsozialismus, das Arbeitermilieu und dessen Alltag interessiert, wird auf Frank Ehrhardts Aufsätze und Bücher stoßen. Mancher wird sich an seine zahlreichen Spaziergänge zur Alltags- und Stadtteilgeschichte Braunschweigs erinnern – zur Vergangenheit der Neustadt, Viehwegs Garten oder dem Bebelhof. Stadtteilgeschichte lebendig zu machen, war und ist ihm ein Anliegen – die so drängende Frage, wie Einheimische und Zugezogene miteinander umgehen, was Menschen und ihr Viertel ausmacht.
„Die Zukunft hat eine lange Vergangenheit“, diese Weisheit aus dem Talmud an der Gedenkstätte zum KZ-Außenlager, markiert den nächsten wichtigen Ort in Frank Ehrhardts Berufsleben. Er setzte sich jahrelang mit dafür ein, dass die Gedenkstätte zu einem „sozialenKunstwerk“ und die Idee des „Offenen Archivs“ Realität wurde. Im Januar 1997 beschloss der Rat der Stadt einen Erinnerungsort zu errichten, drei Jahre später öffnete dieser die Tür für Besucherinnen und Besucher. Jahre, in denen sich Frank Ehrhardt umfangreich mit der Geschichte der Zwangsarbeit beschäftigte, in denen die Suche nach Überlebenden und die Gespräche mit Zeitzeuginnen und Zeitzeugen im Mittelpunkt seiner Arbeit standen. „SeinEngagement ermöglicht es heute den nachfolgenden Generationen, sich mit der Geschichte des Nationalsozialismus in Braunschweig zu beschäftigten. Dies ist sein großes Verdienst. Für mehr als dreißig Jahre Schaffen und Gestalten, Anleiten und Umsetzen sind wir Frank Ehrhardt dankbar“, so Heinen-Kljajić.
Was folgt, wenn er seinen Arbeitsplatz verlassen hat? Ein Ruhestand im Sinne des Wortes würde zu Frank Ehrhardt nicht passen. Als zukünftiger Beisitzer des Vereinsvorstandes wird er sich unter anderem in die neue Projektwerkstatt „Ein anderes Leben wagen.Braunschweig 1966-1973“ einbringen. Weitere Veröffentlichungen, Vorträge, Spaziergänge stehen an. Frank Ehrhardt wird im Arbeitskreis Andere Geschichte weiter mitwirken, Seit an Seit mit vielen anderen.